Mit der Föderalismusreform 2006 ist die Gesetzgebungszuständigkeit zum Strafvollzug vom Bund auf die Länder übergegangen. Wie zuvor schon beim Jugendstrafvollzugsgesetz und dem Untersuchungshaftvollzugsgesetz hat nun eine Arbeitsgruppe der Justizverwaltungen der 10 Bundesländer Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben einen gemeinsamen Entwurf für ein Landesstrafvollzugsgesetz für den Erwachsenenstrafvollzug vorgelegt.
Am Anfang steht hiernach ein standardisiertes Diagnoseverfahren. Dies bedeutet, dass Stärken und Schwächen eines Gefangenen ergründet und seine Vollzugs- und Eingliederungsplanung darauf abgestimmt werden. Dieses Konzept endet nicht mit der Entlassung. Vielmehr ermöglicht das Gesetz eine kontinuierliche Betreuung und die Fortführung begonnener Maßnahmen auch nach Haftende.
Außerdem ist vorgesehen, die Betreuer innerhalb und außerhalb der Haftanstalten zu vernetzen, um den Übergang in die Freiheit zu erleichtern und die berufliche Eingliederung zu fördern. Insbesondere für die letzte Phase der Haftzeit ist in weiterem Umfang als bisher eine Erprobung der Gefangenen in Lockerungen vorgesehen. So wird ein gleitender Übergang in die Freiheit ermöglicht, der die Betroffenen nicht überfordert und der von der Haftanstalt kontrolliert werden kann.
Der Entwurf ist die Basis für die weitere Gesetzgebungsarbeit in den beteiligten Ländern, bei denen es im Hinblick auf landesspezifische Besonderheiten noch zu Anpassungen im Einzelfall kommen kann.
Die wichtigsten Vorgaben des jetzt vorgelegten Entwurfs sollen aber in allen 10 Bundesländern einheitlich umgesetzt werden:
- Es wird ein in der Regel standardisiertes Diagnoseverfahren eingeführt, welches eine zügige und genaue Analyse der jeweils der Straffälligkeit zu Grunde liegenden Ursachen ermöglichen soll. Hierbei sollen auch sog. Schutzfaktoren, nämlich die bestehenden Fähigkeiten der Gefangenen, deren Stärkung einer erneuten Straffälligkeit entgegenwirken kann, in den Blick genommen werden.
- Ein deutlicher Schwerpunkt soll in der Ausrichtung des Vollzugs auf die Eingliederung der Gefangenen in das Leben in Freiheit liegen, und zwar von Beginn der Haftzeit an. Die erforderlichen Maßnahmen sollen im Vollzugs- und Eingliederungsplan frühzeitig festgelegt und nach dessen Maßgabe umgesetzt werden. Die Justizvollzugsanstalt hat ein Netzwerk aufzubauen, das den Gefangenen den Übergang vom Vollzugsalltag in das Leben in Freiheit erleichtert und eine kontinuierliche Betreuung der Entlassenen einschließlich der Fortführung begonnener Maßnahmen gewährleistet. Die sozialen Dienste der Justiz sollen sich frühzeitig an der Eingliederungsplanung der Justizvollzugsanstalt beteiligen.
- Die Möglichkeiten der Erprobung in Lockerungen werden erweitert. Der allgemeine Maßstab des Jugendstrafvollzugsgesetzes wird übernommen, wonach Lockerungen gewährt werden dürfen, wenn verantwortet werden kann zu erproben, dass die Gefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe nicht entziehen oder die Lockerungen nicht zu Straftaten missbrauchen werden. Darüber hinaus wird in einem Zeitraum von sechs Monaten vor der voraussichtlichen Entlassung der Maßstab dahingehend verändert, dass Lockerungen, die für die Eingliederung notwendig sind, gewährt werden, wenn eine Flucht oder ein Missbrauch nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind.
- Auf eine Mitwirkungspflicht des Gefangenen wird zwar verzichtet, den Gefangenen soll aber die Notwendigkeit ihrer Mitwirkung zur Erreichung des Vollzugsziels deutlich vor Augen geführt werden.
- Maßnahmen, die für die Erreichung des Vollzugsziels als zwingend erforderlich erachtet werden, sollen allen anderen Maßnahmen vorgehen und vergütet werden, um einen finanziellen Anreiz für die Teilnahme zu schaffen.
- Wesentliche vollzugliche Maßnahmen, die der Verbesserung der Legalprognose dienen, wie beispielsweise Arbeitstherapie, Arbeitstraining und Psychotherapie, werden erstmals definiert.
- Die Sozialtherapie wird neu ausgerichtet. Anknüpfungspunkt für die verpflichtende Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung ist nicht die der Verurteilung zu Grunde liegende Straftat, sondern die Verringerung einer erheblichen Gefährlichkeit des Täters. Abgestellt wird daher auf die zu erwartenden Straftaten. Erfasst sind Gefangene, von denen schwerwiegende Straftaten gegen Leib oder Leben, gegen die persönliche Freiheit oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu erwarten sind. Da nunmehr auch Gewaltstraftäter verpflichtend in einer sozialtherapeutischen Abteilung unterzubringen sind, wird die Anzahl der Plätze entsprechend zu erhöhen sein.
- Die im Leistungsbereich vielfach bestehenden Defizite der Gefangenen sollen durch schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitstraining und Arbeitstherapie beseitigt und deren berufliche Eingliederung besser als bisher gefördert werden. Daneben soll es Erwerbsarbeit geben, die in erster Linie dem Gelderwerb dient und als Nebenfolge positive Effekte, wie beispielsweise die Stärkung des Selbstwertgefühls oder eine klare Struktur im Tagesablauf, erzielen kann.
- Einzelunterbringung während der Einschlusszeiten wird als Grundsatz festgeschrieben. Dieser Grundsatz ist elementar, weil er nicht zuletzt auch dem Schutz der Gefangenen vor Übergriffen dient. Er kann nur in Ausnahmefällen aus bestimmten Gründen durchbrochen werden.
- Der offene Vollzug und der geschlossene Vollzug sind als gleichrangige Unterbringungsformen vorgesehen, da die Unterbringungsform der Gefangenen allein von ihrer Eignung abhängt.
- Dem Bedürfnis der Gefangenen nach sozialen Kontakten, insbesondere zur Familie, soll durch eine Verdoppelung der Mindestbesuchsdauer auf zwei Stunden monatlich Rechnung getragen werden. Auch der Langzeitbesuch wird gesetzlich geregelt.
- Der Entwurf geht davon aus, dass es nicht nur eine Aufgabe des Staates, sondern der gesamten Gesellschaft ist, an der Eingliederung der Gefangenen mitzuwirken.